Kreisverkehre sind sowohl für Radfahrer als auch für Verkehrsplaner immer eine ganz besondere Herausforderung: Die komplizierten Vorfahrtregeln kapiert sowieso niemand, man sieht in der Regel davon ab, den Radverkehr auf der Kreisfahrbahn zuzulassen und führt ihn stattdessen draußen herum, wo ihm an jedem Arm ein Zeichen 205 präsentiert wird — das Fahren um den Kreisverkehr gilt an den Konfliktpunkten mit dem abbiegenden Kraftverkehr als derart kompliziert, dass man dem Kraftfahrzeugführern kein gefahrloses Abbiegen zutraut und stattdessen dem Radverkehr eine Wartepflicht aufbürdet. Anders formuliert: Wenn’s dann noch kracht ist jedenfalls der doofe Radfahrer schuld.
Insofern macht man das am Leipziger Clara-Park wenigstens nicht ganz verkehrt: Kreisverkehr am Leipziger Clara-Park soll für Radfahrer sicherer werden – kein Radweg
Leistungsfähiger soll der neue Kreisverkehr am Clara-Zetkin-Park werden, schöner auch, heißt es aus dem zuständigen Verkehrs- und Tiefbauamt (VTA) der Stadt. Eine separate Spur für die aus dem Grünen gen Musikviertel strömenden Radfahrer sei allerdings nicht geplant – trotz der Gefahrensituationen, wie sie derzeit häufig für Radler beim Überholen und zu knappen Herausfahren der Pkw entstehen.
Noch einmal zur Erinnerung: In einem normalen Kreisverkehr hat der Fahrverkehr auf der Kreisfahrbahn Vorfahrt — deshalb seht draußen an den Zufahrten noch ein Zeichen 205. Wird der Radverkehr draußen um den Kreisverkehr auf einem Radweg geführt, verlangen die Verwaltungsvorschriften an den Kreuzungen mit dem Radweg ebenfalls die Aufstellung von Zeichen 205, so dass der Radfahrer gegenüber dem einfahrenden und ausfahrenden Verkehr wartepflichtig ist.
Nun wird’s aber erst richtig kompliziert: Weil der Kraftfahrzeugführer beim Ausfahren aus dem Kreisverkehr abbiegt und deshalb unter anderem auch den Fahrtrichtungsanzeiger betätigen muss, hat er eigentlich auf dem Radweg fahrende Radfahrer durchzulassen. Die wiederum sehen ihr kleines „Vorfahrt gewähren“-Schild, von dem der Kraftfahrer wiederum keine Ahnung hat, weil er allenfalls die Rückseite, eher aber nur die millimeterbreite Seite des Bleches sieht. Im Endeffekt wird nach kurzer Wartezeit einer von beiden entnervt fahren — und wenn beide auf die gleiche Idee kommen, gibt’s am nächsten Tag eine Unfallmeldung in der Tageszeitung, in der man sich ganz entgeistert fragt, wie denn nur so etwas passieren konnte.
Noch komplizierter wird es, wenn Fußgänger mit im Spiel sind. Für Fußgänger gelten die kleinen Zeichen 205 nämlich nicht, weil Fußgänger nunmal keine Fahrzeuge sind. Zwischen Kraftfahrzeugen und Fußgängern gilt § 9 Abs. 3 StVO, der unter anderem sagt:
Wer abbiegen will, muss entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen, Schienenfahrzeuge, Fahrräder mit Hilfsmotor und Fahrräder auch dann, wenn sie auf oder neben der Fahrbahn in der gleichen Richtung fahren. Dies gilt auch gegenüber Linienomnibussen und sonstigen Fahrzeugen, die gekennzeichnete Sonderfahrstreifen benutzen. Auf zu Fuß Gehende ist besondere Rücksicht zu nehmen; wenn nötig, ist zu warten.
Ein aus dem Kreisverkehr ausfahrendes Fahrzeug muss also Fußgänger, aber angesichts eines kleinen Zeichen 205 keine Radfahrer durchlassen. Okay, das kapiert man noch nach einem ausführlichem Studium der Straßenverkehrs-Ordnung, aber sicherlich nicht nach einer rudimentären Fahrschulausbildung. Lustiger wird’s beim Einfahren in den Kreisverkehr: Das stellt nämlich kein Abbiegen dar, weswegen man nicht blinken und auch keine Fußgänger durchlassen muss, Radfahrer ohne Zeichen 205 aber schon, Radfahrer mit Zeichen 205 aber nicht und das dumme an der Geschichte ist, dass man alle beide im Zweifelsfall nicht anfahren darf.
Und nun nochmal: Wer kapiert denn sowas? Als Fußgänger darf man die eine Furt überqueren, muss aber an der anderen warten? Lustiger wird’s noch, wenn keine Mittelinsel vorhanden ist und man gegen der einen Fahrtrichtung wartepflichtig ist, gegenüber der anderen aber nicht. Und dann kennen da die Verwaltungsvorschriften noch das Spielchen mit dem Abstand zur Fahrbahn: Wenn die Fahrrad- und Fußgängerfurten mehr als fünf Meter vom Kreisverkehr abgesetzt sind, treten eine ganze Menge Regelungen außer Kraft, weswegen Fußgänger und Radfahrer plötzlich sowieso Kraftfahrer beider Fahrtrichtungen durchlassen müssen, weil der Kraftverkehr nämlich nicht mehr im Abbiegevorgang begriffen ist.
Kapiert kein Mensch.
Darum ist es auch keine schlechte Idee, den Radverkehr erst gar nicht um den Kreisverkehr zirkulieren zu lassen, sondern mit dem Beradeln der Kreisfahrbahn klare Tatsachen zu schaffen, anstatt sich das ganze Chaos mit Abständen und zusätzlichen Verkehrszeichen und Unfallmeldungen anzutun.
Das Leipziger Problem versteckt sich mutmaßlich in diesem Absatz:
Der VTA-Abteilungsleiter hofft, dass ein Überholen der Radfahrer in Zukunft kaum mehr möglich wird. „Die fahren dann vorneweg, weil ein paralleles Überholen erschwert und der Abiegevorgang ohnehin zu eng wird“, sagte Barwig. Radler, denen die Fahrt durch den Ring trotzdem zu gefährlich ist, stehe zudem aber auch die Nutzung der Gehwege weiter offen.
Ausgehend davon, dass Fahrradfahrer innerhalb eines Kreisverkehres noch weniger akzeptiert werden als auf einer normalen Fahrbahn, dürften sie dort relativ schnell als rollendes Verkehrshindernis gelten. Die dreieinhalb Meter breite Kreisfahrbahn reicht dabei locker aus, um einen Radfahrer zu überholen, je nach Breite des Kraftfahrzeuges bleibt sogar noch für genügend Sicherheitsabstand Platz. Da hat sich Barwig vermutlich verrechnet. Das Problem dürfte allerdings gar nicht erst das Überholen, sondern das Wiedereinscheren sein: Obwohl ein Kreisverkehr eigentlich unendlich lang ist, will ein Kraftfahrzeug schließlich auch irgendwann wieder ausfahren — mutmaßlich gerade dann, wenn der Überholvorgang zu zwei Dritteln abgeschlossen ist, also vorne rechts die Ausfahrt lockt, hinten rechts am Hinterrad aber noch immer der Radfahrer pedaliert. Die schnittigen Fahrmanöver hat vermutlich jeder Radfahrer schon einmal erlebt, der häufiger einen radweglosen Kreisverkehr durchfährt.
Mit 3,50 Meter Breite wird der Kreisverkehr vermutlich nicht vom Überholen abhalten können, sondern vielmehr gefährliche Manöver indirekt provozieren. Auch dafür hat man sich in Leipzig etwas überlegt: Radfahrer dürfen dort auch den Gehweg um den Kreisverkehr herum beradeln.
Wie viele Verkehrsteilnehmer werden wohl die komplizierten Kreisverkehr-Regelungen im Zusammenhang mit einem freigegebenen Gehweg verstehen?