Es gibt für Radfahrer gleich zwei Gretchenfragen: Wie hältst du’s mit den Hochbordradwegen — und fährst du mit Helm? Beide Themen wurden mehr oder weniger wissenschaftlich untersucht und ausgesprochen kontrovers diskutiert.
Gerade der Debatte um Fahrradhelme und eine eventuelle Helmpflicht wird zudem äußerst unsachlich geführt. Weil für jeden „normalen Menschen“ erkennbar wäre, dass Fahrradhelme Leben retten und zwar in jeder Situation, werden keine Gegenargumente zugelassen und die Gegner einer Helmpflicht bereits nach wenigen Wortmeldungen ignoriert, teilweise beleidigt und beschimpft — wobei letzteres auch gerne in gleicher Form zurückgegeben wird. Helme schützen Schulkinder und retten Leben, darum darf deren Wirksamkeit gar nicht erst angezweifelt werden.
Dabei steht es eigentlich außer Frage, dass ein Fahrradhelm schützen kann — es geht lediglich darum, in welchen Szenarien er dazu in der Lage ist. In den Unfallberichten der Polizei, die es regelmäßig in die Onlinemedien schaffen, würde beispielsweise von einem Radfahrer berichtet, der von einem abbiegenden Lastkraftwagen überrollt wurde; wichtiger als die genauen Unfallursachen und deren Bekämpfung scheint aber die Tatsache, dass der Radfahrer keinen Helm getragen hat — als ob der unter den Zwillingsreifen noch etwas hätte ausrichten können oder gar die lebenswichtigen Organe unterhalb des Halses geschützt hätte.
Bei genauerer Beobachtung der Berichterstattung fällt auf, dass es kaum einen „vernünftigen“ Beitrag zu Fahrradhelmen gibt. Es wird ja gar nicht verlangt, dass jede Kaufberatung im Frühstücksfernsehen gleich von einer ausgewogenen Betrachtung der Vor- und Nachteile einer eventuellen Helmpflicht flankiert wird, aber die glorifiziert dargestellten Fähigkeiten des Helmes tragen nicht gerade zu einer Versachlichung der Debatte dar. stern TV versuchte unlängst die Wirksamkeit des Helmes mit einem Crash-Test-Dummy darzustellen: Ohne Fahrradhelm flog der Dummy hoch in die Luft und prallte senkrecht mit dem ungeschützten Kopf auf den Asphalt, mit Helm schlitterte der Dummy seitlich über die Motorhaube und rutschte schon beinahe locker-flockig nach unten, ohne dass der Helm überhaupt mit dem Boden Bekanntschaft schloss. stern TV resümierte: Ohne Helm wäre der Radfahrer gestorben, mit Helm hätte er lediglich leichte Verletzungen erlitten — dass die beiden Versuche längst nicht identisch abgelaufen waren, hatte man offenbar nicht zur Kenntnis nehmen wollen.
Insofern wäre es schön, wenn es endlich mal einen sachlichen, gerne auch helmbefürwortenden Beitrag zur Debatte gäbe. Um es gleich vorweg zu nehmen — der folgende ist es nicht: „Fahrradhelme können Leben retten“
Der Trend geht zur zwar Kopfbedeckung: Nach Angaben der Bundesanstalt für Straßenwesen steigt die Zahl der Helm tragenden Radfahrer seit Jahren kontinuierlich. Insgesamt bleibt der Anteil allerdings noch sehr gering: 2011 lag die Helmfahrerquote insgesamt bei gerade elf Prozent, 56 Prozent der Kinder unter zehn Jahren traten nur mit Schutzausrüstung in die Pedale.
Die meisten der Argumente wurden in diesem Blog schon hinreichend behandelt. Neu ist aber:
Auch wenn die Studienlage zur Sicherheit von Fahrradhelmen komplex ist: Experten gehen davon aus, dass 95 Prozent der tödlich verunglückten Radler mit einem Helm hätten gerettet werden können.
Ohne jetzt hier in der S-Bahn die notwendigen Zahlen zur Hand zu haben: Das stimmt so ganz sicher nicht. Laut dem Artikel wären 95 Prozent der Todesfälle mit einem Helm zu verhindern gewesen, also war in 95 Prozent der Todesfälle ausschließlich eine Kopfverletzung ursächlich für den Tod des Radfahrers. Man muss sich allerdings nur einmal die Unfallberichte der letzten paar Wochen durchlesen, als in den letzten Sommertagen ein Radfahrer nach dem anderen von abbiegenden Kraftfahrzeugen erfasst wurde. Spätestens beim Kräftemessen mit einem Lastkraftwagen dürften die Verletzungen am unbehelmten Kopf nur noch eine untergeordnete Rolle spielen: Die Berichte verweisen zwar pflichtbewusst auf den fehlenden Helm, verschweigen aber nicht, dass der Tod aufgrund von inneren oder „nicht mit dem Leben zu vereinbarenden“ Verletzungen eintrat.
Selbst unter der Prämisse, dass eine Kopfverletzung tödliche Folgen hatte, ist die Rechnung noch längst nicht so einfach, dass „ohne Helm = tot, mit Helm = lebendig“ eine valide Gleichung wäre. Ab einer gewissen Geschwindigkeit kann ein handelsüblicher Fahrradhelm kaum in das Unfallgeschehen eingreifen. Die Kollision gegen ein abbiegendes Kraftfahrzeug entspricht in etwa dem Aufprall auf ein stehendes Hindernis: Wenn dort Kopf und Karosserie zusammentreffen, spielen die paar Zentimeter Styropor nur noch eine untergeordnete Rolle. Noch schlimmer sieht es natürlich aus, wenn ein Radfahrer von einem fahrenden Kraftfahrzeug erfasst wird, das entsprechend mehr Energie in das Unfallgeschehen pumpt.
Wie auch immer: 95 Prozent der tödlich verunglückten Radfahrer wären auch mit einem Helm sicherlich nicht mehr am Leben.