Es ist eigentlich eine recht bewegende Geschichte, die dort im Mantel der Regionalausgaben des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlages erschienen ist: Mircos Freude ist eine Belohnung
Mirco leidet an der seltenen Krankheit Mitochondriopathie: Der Neunjährige ist beim Duschen und Zähneputzen auf Hilfe angewiesen.
Wer sich allerdings auch im dunkleren Halbjahr mit dem Rad auf die Straße traut, wird sich umgehend am Titelfoto des Artikels stoßen: Der dort abgebildete Junge reitet dort mit Fahrradhelm — und der sitzt auch noch ganz schlecht.
Sicherlich läuft man bei diesem Thema Gefahr, leicht in die Erbsenzählerei abzurutschen. Gesellschaftlich durchgesetzt hat sich die Meinung, dass für vermeintlich gefährliche Betätigungen, zu denen unter anderem Skifahren, Radfahren, Reiten und leider auch der Besuch eines Spielplatzes gehören, umbedingt ein Schutzhelm getragen werden müsse. Leider findet anschließend keine weitere Differenzierung mehr statt und die Qualität dieser Behauptung verbleibt unterhalb des Stammtischniveaus.
Nun mag man von der Schutzfunktion eines Fahrradhelmes halten was man will, aber wenn ein Fahrradhelm schützt, dann sicherlich nur beim Radfahren. Kein vernünftiger Verkehrsteilnehmer käme auf die Idee, einen Motorroller oder gar ein Motorrad mit einem Fahrradhelm zu steuern, denn ganz offensichtlich genügt die Schutzwirkung der doch recht einfachen Styroporhaube längst nicht den Ansprüchen, die im Ernstfall auf dem Kraftrad das Leben retten könnten.
Auf die Idee, mit dem Fahrradhelm auf die Piste zu fahren oder aufs Pferd zu steigen kommen leider ungleich mehr Menschen, obwohl nicht ohne Grund spezielle Sporthelme für beinahe jede einzelne Sportart angeboten werden. Danach muss man gar nicht lange suchen, das weiß sogar Wikipedia. Und über den angesprochenen Reithelm steht dort:
Gemeinsam ist allen Reithelmen, dass sie erhöhten Anforderungen genügen müssen, da die Fallhöhe höher ist als beispielsweise bei Ski- oder Fahrradfahren. Außerdem müssen sie auch dann schützen, wenn ein Huf gegen den Helm schlägt.
Und selbst wenn man von der Wahl des Helmes absieht: so wie der Junge den Helm trägt, hätte man ihn auch ohne Kopfschutz auf den Sattel setzen können. Der richtige Einstellung des Fahrradhelmes ist eine kleine Wissenschaft, aber sinnvollerweise sollte der Helm auch die Stirn schützen, schließlich prallt die Stirn bei einer Feindberührung überdurchschnittlich häufig als erstes auf das Hindernis. Nun ist es kein Geheimnis, dass aus verschiedenen Gründen Helme gerne online bestellt werden, der Postbote aber längst nicht die nötige Fachkenntnis zum Einstellen des Fahrradhelmes mit an die Tür bringt. Im Endeffekt wird der Helm dann irgendwie so hingemurkst, dass er nicht sofort von der Murmel rutscht, bleibt aber in der Regel vollkommen falsch eingestellt. Wichtig ist nicht nur die Position des Helmes, der bei den meisten Kindern eher auf dem Hinterkopf sitzt und die Stirn im Ernstfall dem Hindernis präsentiert, sondern auch die richtige Einstellung des Kopfumfanges und der Kinnriemen — gerade letztere verbleiben häufig im Lieferzustand, was das richtige Tragen des Helmes noch einmal erschwert.
Diese Details werden leider in den vielen Pro-Fahrradhelm-Kampagnen überhaupt nicht als wichtig hervorgehoben: Dort gilt die Prämisse, mit Helm könne ja überhaupt nichts passieren. Polizei und Eltern sind zufrieden, schließlich trägt das Kind einen Fahrradhelm, und wenn es dann wirklich mal knallt, dann blutet zwar die Stirn, aber im Polizeibericht kann immer noch geschrieben werden, der Fahrradhelm habe schlimmeres verhindert, selbst wenn der Helm keinen Kratzer abbekommen hat, weil die Stirn sämtliche Kopfarbeit alleine leisten musste.
Im wahrsten Sinne des Wortes noch einer draufgesetzt wird von den Eltern im Winter: damit der junge Radler nicht friert, wird noch eine Mütze zwischen Helm und Schädel gezwängt, woraufhin der Helm noch ein paar Zentimeter nach oben steigt und auf dem jungen Kopf eine Art Turm bildet, an dessen Spitze sich ungesund viel Masse sammelt. Diese so genannte GripGrab beispielsweise soll sich laut Produktbeschreibung optimal unter den Helm fügen, obwohl spätestens beim Blick auf das Produktfoto klar wird, dass diese abenteuerliche Konstruktion allenfalls für ein Schleudertrauma taugt, weil der mehrere hundert Gramm schwere Helm bei einem Unfall am Schädel mit den Fliehkräften multipliziert am Schädel zerren wird. Bei diesem Produktfoto scheint das Mädchen allerdings außerdem noch einen zu kleinen Helm zu tragen. Vor Schäden wird ein in dieser Höhe getragener Fahrradhelm sicherlich nicht mehr schützen, schließlich besteht kaum noch Kontakt zum Kopf. Dennoch gilt auch hier das Motto „Hauptsache Helm“, wie die jungen Radfahrer jeden Morgen an den Grundschulen und Orientierungsstufen beweisen. Ob der Helm überhaupt noch schützen kann oder lediglich der Beruhigung der Eltern und Schulpolizisten dient, soll an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden.
Zurück zu Mirco: auch wenn wie im Artikel angesprochen die finanziellen Mittel begrenzt sind, lohnt sicherlich die Investition in einen vernünftigen Reiterhelm, gerade wenn der Junge ohnehin an motorischen Problemen leidet und ein Unfall womöglich wahrscheinlicher sein könnte. Die Fahrradhelm-Kapuze-Kombination auf dem Titelfoto wird ihn im Ernstfall zumindest nicht schützen können.